Blog #6 – Knowing Viktor Frankl…oder können Führungskräfte Sinn vermitteln? – Teil 2

Die Sinnfrage ist nicht zu stellen!“ (Kalauer über das Bundesheer – Forum DerStandard.at)

Sinn erlebt trotz wirtschaftlicher Krise gerade eine enorme Renaissance und deutlich gestiegene Aktualität in Organisationen. Sei es in der Diskussion über „Purpose Driven Organizations“, „First start with Why“-Initiativen, oder dem Entstehen neuer Berufszweige wie „Sinnberater*in“.

Zwei Dimensionen von Sinn

Sinn in Organisationen hat neben einer sachlich-inhaltlichen Komponente (ein WOFÜR/gemeinsames Ziel), speziell eine emotionale Komponente für Mitarbeiter*innen, nämlich ein Gefühl von Bedeutung und Sinnhaftigkeit für den eigenen Job zu entwickeln.

Entscheidend für eine Sinnorientierung nach Viktor E. Frankl (siehe mein #Blog 5) ist die Haltung „What can I give to the world“ oder „What contributions can I give to others“, indem ich beispielsweise wertvolle Beiträge für andere Menschen, Organisationen, oder die Gesellschaft leiste.

Hinsichtlich des inhaltlichen Verständnisses bleibt oft unklar, was eigentlich mit Sinn gemeint ist: Ein höheres Unternehmensziel? Ein Zweck? Ein Purpose? Frankl stellte schon früh klar, dass Sinnerleben nicht allgemeingültig, sondern immer ein individuell subjektives Phänomen ist. Sinn kann – so wie Selbstorganisation oder Vertrauen oder Liebe – nicht wie ein Breitbandantibiotikum verordnet werden, sondern nur als individuelles Werteerlebnis in einer konkreten Situation erfahren werden. Sinn verweist immer auf etwas (eine Aufgabe, Bedeutsamkeit des eigenen Jobs), oder jemanden (meine Mitmenschen).

Abbildung 1: Viktor Frankl Museum Wien

Führungskräfte als Sinnvermittler? Die drei Hauptstraßen zum Sinn in Organisationen

Organisationen und ihre Führungskräfte können demnach nicht direkt, jedoch indirekt versuchen Sinnangebote zu setzen. Es ist der besondere Verdienst von Frankl, Möglichkeiten aufzuzeigen, die in ihrem Wert sinnträchtig sind. Er beschreibt diese mit den drei „Hauptstraßen zum Sinn“: Erlebniswerte, schöpferische Werte und Einstellungswerte. Die drei Werte sind nicht allgemeingültig, d.h. nicht unabhängig von Zeit und Ort. Alle Werte, die für die Erfüllung eines Sinns von Bedeutung sind, sind nur im Zusammenhang mit einer spezifischen Situation gültig. Sie sind daher Situationswerte.

Abb. 2.: Hauptstraßen zum Sinn nach V. Frankl (eigene Darstellung)

Servant Leadership* (siehe „wichtige“ Fußnote)

Sinnorientierte Führungskräfte zeichnen sich in ihrem Handeln zu einem „Hin zu etwas“, was nicht sie selbst sind, aus. Das heißt weniger Ego und Selbstbezogenheit und ein weitestgehend angstfreies Agieren für die Anfragen einer Situation (Aufgaben, andere Personen). Führen mit Druck, Zwang und Angst verengen das Sicht- und Handlungsfeld der beteiligten Personen, mit der Konsequenz einer Konzentration auf die eigene Person und das Vermeiden von unangenehmen Situationen (R.H. Jung 2020).

Abschließend ein paar Lösungsideen und Empfehlungen zur Sinnvermittlung für Unternehmen, Teams und Führungskräfte, anhand der drei Hauptstraßen zum Sinn.

Erlebniswerte in der Arbeit werden erlebt und realisiert durch…:

  • die Art und Weise des Miteinanders, die wahrgenommene Gerechtigkeit bei der Verteilung von Arbeitslast im Team, die gegenseitige Rücksichtnahme auf kommunikativ zurückhaltende Teammitglieder und Unterstützung von leistungsschwächeren im Team.
  • die Mitarbeit an abwechslungsreichen, interessanten Tätigkeiten, die Spaß machen und mit großer Freude und Engagement durchgeführt werden.
  • einen partizipativen und dienenden Führungsstil („servant Leadership“) der Erlebniswerte wie Gleichberechtigung, Fairness, Rücksichtnahme oder persönliche Entwicklung fördert.

Schöpferische Werte in der Arbeit werden erlebt und realisiert durch…:

  • Teams, die selbstorganisiert ihre Arbeitsaufgaben verteilen können und ihre Arbeitsprozesse strukturieren, oder Regeln eines guten Miteinander festlegen.
  • Mitarbeitende, die in ihren Arbeiten ausreichend Möglichkeiten vorfinden, für selbst gewählte Aufgabenstellungen Lösungen kreativ und selbstbestimmt gemeinsam mit anderen erarbeiten können. Somit gelingen gute Kooperationsbeziehungen
  • die Beteiligung und Mitarbeit bei sozialen Projekten oder Nachhaltigkeitsprojekten. Dadurch werden sowohl Erlebnis- als auch schöpferische Werte entfaltet.
  • durch die Entwicklung von nachhaltigen Produkten und Services, um auch sinnvolles Tun nach innen glaubwürdig zu vertreten.
  • Die Vereinbarung von nachhaltigen Entwicklungszielen („Sustainable Development Goals“)

Einstellungswerte

Einstellungswerte werden durch persönliche Haltungen in schwierigen und nicht kurzfristig veränderbaren Situationen realisiert. Wenn man zum Beispiel in einer bedrückenden Situation (z.B. Reorganisation mit Personalabbau und Jobverlust) eine – zunächst paradox anmutende –  Haltung des „Trotzdem“ entgegenstellt, oder als Ausgangspunkt einer persönlichen Entwicklung sieht. Einer schweren Situation ein „Trotzdem“ entgegenzustellen, ist selbst bei fehlender Möglichkeit zur Realisierung schöpferischer Werte und Erlebniswerte eines Menschen innewohnende Sinnmöglichkeit.

Einstellungswerte in der Arbeit werden erlebt und realisiert…:

  • Wenn Mitarbeitenden die Möglichkeit angeboten wird proaktiv über ihre Situationen nachzudenken und zu reflektieren. Entweder persönlich („Wer bin ich eigentlich?“ „Was macht mich als Mensch aus?“) oder beruflich („Wo liegen meine Stärken?“ „Wo kann ich diese am besten einsetzen“), anhand von Tools aus der Positiven Psychologie.
  • Wenn Mitarbeitenden bei drohenden Jobverlust Auffangnetze und Unterstützung angeboten wird durch externes Coaching, Supervision, oder Outplacement.
  • Wenn Mitarbeitenden Workshops oder Peerplattformen angeboten werden, wo es um die Reflexion mit der eigenen aktuellen Situation („Warum ich? Und wie geht es mir dabei?“, „Welche Emotionen kommen dabei hoch?“) und zukünftiger Aktivitäten geht („Was mach ich als nächstes?“, „Motto „trotzdem Ja zum Verlust sagen“ und aktiv werden“).

Anstelle eines Fazits

Vielleicht sind meine Empfehlungen nur Utopie und (noch) nicht realisierbar in Organisationen? Aber wie sagte schon Robert Musil vor fast 100 Jahren im Mann ohne Eigenschaften über die Potenzialität der Zukunft: „Wo es einen Wirklichkeitssinn gibt, muß es auch einen Möglichkeitssinn geben…“ . Nur Mut!

* Wichtige Fußnote zu Servant Leadership: servant (engl.), übersetzt mit dienend (dt.), hat hier wenig gemein mit der gleichnamigen US-Horrorserie „Servant“; der servante leader/die servante leaderin ist in etwa und natürlich outriert übersetzt der wienerische “Gschamster Diener”; dieser gehört lt. Wikipedia zum „charmanten“ Image eines perfekten Wiener Kaffeehaus Kellners; Hans Moser und Paul Hörbiger hätten mit dieser Interpretation vermutlich ihre Freude….?

Weiterführende Literatur:

JUNG R. H. (2020):  Führung und Sinn. In: Zeitschrift GIO Gruppe. Interaktion. Organisation 2/20

FINK Franziska, MÖLLER Michael (2018): Purpose Driven Organizations, Schaeffer-Poeschl

SINEK Simon (2011): Start with WHY, Penguin

TEUFL Stefan (2020): Review „Der Mensch in der Selbstorganisation“, Zeitschrift Organisationsentwicklung 4/20.

Videotipps:

Onlinevorträge zu Führung & Sinn – Viktor Frankl Zentrum:

https://www.franklzentrum.org/zentrum/programm/termin/1594/online-vortrag-live-fuehrungs-kraft-sinn.html

Das Viktor Frankl Museum Wien stellt sich vor – ein Rundgang:

https://www.franklzentrum.org/museum/rundgang.html

Youtube-Klassiker von Simon Sinek: First start with Why! The golden circle:

Danksagung:

Ich möchte mich bei meinen Freunden Dr. Gerhard P. Krejci und Mag. Andreas Kutil für die wertvollen Impulse zu diesem Blog bedanken.

Wien, November 2020; Mag. Dr. Stefan Teufl; Stefan.teufl@chello.at

@TeuflStefan

Veröffentlicht von Dr. Stefan Teufl

TEUFLs CONSULTING (Strategic HR & Positive Leadership Advisory, Learning & Development Concierge Services) / FHWien der WKW (Studiengang HR & Organization, Fachbereichsleitung Organisationsentwicklung & HR-Transferprojekte) stefanteufl607@gmail.com / stefan.teufl@fh-wien.ac.at

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